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27. Ausstellungsprojekt mit Christian Paulsen

projektraum-bahnhof25, Kleve, 2013

Hommage an Klimt

Kompositionen Klimts spielerisch nachgestellt mittels lebensgroßer transparenter Akt-Fotografien

Hintergründe und Bekleidungen aus Einwickelpapieren von Bonbons, Pralinen und Schokoladen sowie Joghurtdeckeln

Kamasutras

Verpackungsschachteln mit Sichtfenstern

Schokoladenpapiere und Abbildungen von Kamasutraszenen

Ausstellungseröffnung Derks/Paulsen, 29. Juni 2013

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Luzia, lieber Christian, liebe Organisatoren des projektraums,

es ist mir ein Vergnügen, diese Ausstellung mit Arbeiten der heute in Münster lebenden Luzia-Maria Derks und des Esseners Christian Paulsen zu eröffnen.

Wie üblich im projektraum – und in diesem Falle vielleicht leider – trägt die Ausstellung keinen Titel. Dabei wäre es so leicht gewesen, für die auf den ersten Blick so ganz und gar unterschiedlichen Werke passende Antagonismen zu finden.

Wort“paare“ wie Wollust und Struktur, Schwelgerei und Reduktion, Opulenz und Minimalismus drängen sich regelrecht auf, und sowohl die Herangehensweise als auch das Material könnten kaum gegensätzlicher sein. Denkt man beim ersten Hingucken.

Und auch noch beim zweiten und dritten Gucken.

Und selbst dann noch, wenn man geneigt ist, die eigene Wahrnehmung auch mal gegen den Strich zu bürsten, finden sich vor allem Kontraste.

Auf der einen Seite schwarze Linien auf weißem Papier, die sich scheinbar ohne eigenes Zutun, sozusagen ungewollt, zu schemenhaften Vorstellungen von Landschaften, Blüten oder Köpfen verdichten und wieder auflösen; tausendfach verwurstete, abgenudelte Motive der jüngeren Kunstgeschichte auf der anderen.

(Die kleinen Kamasutra-Guckkästen, die Sie im Moment nicht sehen können, lasse ich jetzt mal noch außen vor.)

GG

Gustav Klimt in allen Formaten, auf Tassen, Schirmen, Vasen, Flaschenetiketten, als Photohocker, Schmuckkästchen, Seidenschal, Button oder Serviette – das sind die mehr oder weniger geschmackvollen Eyecatcher der Museumsshops dieser Welt.

Und – seien Sie ehrlich – sind wir nicht alle Elstern, die nach allem sehen, auf alles fliegen, was glitzert und glänzt?

Handelte es sich bei den hier gezeigten Arbeiten um Marktschreier, wer würde Sie anlocken? Wo würden Sie zuerst gucken? Eben.

Doch was, wenn Sie näher heran gehen? Was aus der Ferne so hübsch glitzert und glänzt, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als Verpackungsmüll. Schokoküsse, Werthers Echte, Ferrero Rocher, Schokoladenverpackungen und Joghurtdeckel, Sektkorkenummantelungen aus goldfarbener, gekreppter Aluminiumfolie, da scheinen selbst die Wörter zu glitzern.

Und doch ist alles nur Tand – Restmüll, um genau zu sein – und gehört damit thematisch in einer Reihe älterer Arbeiten Derks, die häufig auch (von außen, als dreidiemsionale Objekte aber auch von innen) beleuchtet sind. Glitzer, Flitter, Reflektion und Licht bilden den optischen Reiz des vorgefundenen bzw. gesammelten Materials und damit den Ausgangspunkt ihrer Arbeiten.

Ganz anders Christian Paulsen: Der Ausgangspunkt seiner hier gezeigten Arbeiten ließe sich am ehesten zwischen seinen Ohren lokalisieren (das klingt jetzt blöd, bezieht sich aber darauf, dass er beim Zeichnen grundsätzlich einen Kopfhörer trägt und laut Musik hört). Außer einem Bogen weißen Papiers und schwarzen Tuschestiften der Marke Faber Castell Stärke M braucht er sonst nichts.

Was jetzt wie das Höchstmaß der Reduktion zeichnerischer Mittel erscheint, erfährt noch eine Zuspitzung, wenn es um Paulsens Intention geht. Geht es doch gerade darum, möglichst nichts zu denken, keine bewussten Setzungen vorzunehmen, sondern sich dem Prozess des Zeichnens zu überlassen, an dessen Ende eine „Spur“ und als Resultat eine Zeichnung steht, die unverwechselbar die Handschrift des Künstlers trägt.

„Gegenständliches“ wie die Ahnung einer Berglandschaft aus der Vogelperspektive, eine kaum geöffnete Distelknospe oder ein Dickicht / Dornengestrüpp drängen sich auf, und wir „lesen“ das so, weil unser Gehirn so funktioniert.

In der Lage zu sein, aus rudimentären Zeichen sinnvolle Information zu konstruieren, hat sich durch die Jahrtausende menschlicher Evolution als Vorteil erwiesen und lässt sich nicht ohne weiteres ablegen, auch wenn die zeitgenössische Zeichnung mitunter anderes erforderte.

Paulsen spielt damit, wenn es etwa um die Titel einer Reihe von Zeichnungen geht, die (F)LOWERS heißen. Man ist unmittelbar geneigt, die unregelmäßig geformten, in der Mitte des Blattes sitzenden annähernd elipsoiden Formen als Blüten zu identifizieren, dabei ging es dem Zeichner in erster Linie um FLOW – fließen und LOW – flach oder niedrig …

So richtig in die Falle getappt bin ich allerdings vor allem bei der Reihe kleinformatiger, im Floatmount (eine Art Dibond-)Verfahren auf die Wand gebrachte Zeichnungen, die Sie als Block gehängt an der Wand zum Flur in Raum vier sehen. Ich hatte sie mir auf seiner Website angesehen, wo sie unter dem Titel AHNEN (alles in Versalien geschrieben) geführt sind. Für mich war automatisch klar, dass es sich bei den annähernd ovalen gezeichneten Strukturen um Köpfe handeln müsse – der Hinweis „Ahnen“ im Sinne von Vorfahren ließ gar keine andere Deutung zu. Dass es tatsächlich eher um eine Ahnung bzw. um das entsprechende Verb geht, macht entschieden mehr Sinn, obwohl das mit den Köpfen eine gängige Lesart zu sein scheint …

Doch zurück zum absichtslosen Zeichnen: Diese Art der „Bildfindung“ gilt als enger Verwandter der Écriture automatique, die ursprünglich auf die Psychologie zurück geht. Diese (die écriture automatique) wurde Ende des 19. Jahrhunderts im Rahmen therapeutischer Versuche entwickelt, in denen der Patient unter Ausschaltung des Bewusstseins (etwa durch Hypnose oder im Halbschlaf) zum Schreiben angehalten wurde. Man versprach sich einen unmittelbaren, unkontrollierten Zugang zum Unterbewussten – eine Vorstellung, die wenig später die Surrealisten für sich entdeckten und zur Grundlage einer neuen Art von Kreativität erklärten. Übertragen auf den Akt des Zeichnens bedeutete dies in letzter Konsequenz die Loslösung von der Welt der Gegenstände mit neuen Schwerpunkten auf den Ausdruckswerten der Linie, dem Verhältnis von Linie zu Linie, dem Verhältnis von leerer Fläche zu Linie bzw. von Umraum zu Liniengespinst, auf Rhythmus, Duktus, An- und Abschwellen. Dem Schreiben durchaus vergleichbar, doch eben noch abstrakter, als das einzelne Zeichen (der einzelne Buchstabe) ja selbst schon ist.

Den Bogen von der écriture automatique über André Breton zu Freud und damit nach Wien zu Gustav Klimt zu schlagen, ginge jetzt vielleicht ein bisschen zu weit. Als Überleitung aber taugt es allemal, da beide, Luzia-Maria Derks und Christian Paulsen, sich in ihren hier gezeigten Arbeiten aus dem Fundus der Kunst- und Kulturgeschichte der Jahrhunderwende bedienen. Womit wir (Kurve gekriegt!) jedenfalls wieder bei Gustav Klimt wären, der zu Lebzeiten einer der umstrittensten, aber auch beliebtesten Künstler Wiens war, der vor allem auch wegen seiner erotischen Porträts hoch geschätzt wurde. Keineswegs überraschend adaptiert Luzia-Maria Derks mit „Judith und Holofernes“, „Der Kuss“, den „Wasserschlangen II“, „Danae“, dem Bild „Die Tänzerin“, dem „Goldfisch“ und dem bislang noch überhaupt nicht erwähnten Bild „Der Kiesel“ nach René Magritte (da sind sie wieder, die Surrealisten!) ausgerechnet diese erotischen Porträts.

Keineswegs überraschend deshalb, weil Derks auch in anderen, früheren Arbeiten immer wieder auch auf den eigenen Körper als Ausgangs- und Arbeitsmaterial zurückgreift. Die Fotografien zu diesen Arbeiten stammen im Übrigen von dem in Münster lebenden Fotografen David A. Moseley, der natürlich nicht unerwähnt bleiben darf.

Unter Einsatz des eigenen Körpers also sowie einer gehörigen Portion Exhibitionismus vollzieht sie nach, was Klimt gut hundert Jahre zuvor unter dem Einfluss byzanthinischer Mosaiken und japanischer Malereien schuf, deckt en passant auf, wo Klimt malerische Entscheidungen traf, die nicht der „wahrheitsgemäßen“, fotorealistischen Wiedergabe entsprechen (etwas, was ihr gewisse Schwierigkeiten machte, wenn etwa in der Darstellung des Kusses der Kopf des weiblichen Modells so weit nach hinten und zur Seite gedreht erscheint, dass eine normale Halswirbelsäule hier nicht mehr mitmacht ...) und stellt eine thematische Verknüpfung von weiblichem Akt und Süßigkeiten her, der in den kleinen Guckkästen in Raum 3 zu einer noch deutlich pointierteren Ausdrucksweise findet.

Die einzelnen Motive der Klimtschen Bilder auf ihre Bedeutung hinsichtlich ihres biblischen (Judith und Holofernes) oder mythologischen Ursprungs (Danae) und ihre Bedeutung für Luzia-Maria Derks – wiewohl ein lohnendes Thema - zu untersuchen, ist hier wohl kaum der richtige Ort. Wichtiger erscheint mir der zeitgenössische Kontext, in den sie diese klassischen Motive stellt. Handelt es sich um eine Art weltweiter Gesellschaftskritik, in der Phänome wie Wohlstandsmüll und massive Verfettung ganzer Gesellschaften zum Thema gemacht werden? Essen, essen, essen: Süßigkeiten - der neue Sex? Oder geht es um unser verändertes Verhältnis zu Bildern aller Art, das auch den Umgang mit erotischen Bildern und Pornographie einschließt, die noch vor nicht allzu langer Zeit in erster Linie unter der Ladetheke gehandelt wurden? Spielt sie mit dem Betrachter, indem sie ihn des Voyerismus überführt? Schließlich müssen Sie einfach nah herangehen, wenn Sie den Inhalt der kleinen Guckkästen betrachten wollen. Zwangsläufig entsteht dabei so etwas wie eine intime Situation.

Oder geht es doch vor allem um eine kindliche Lust an Glitter und Flimmerkram, um Sammeln und Recyclen, um eine – durchaus dem Surrealismus vergleichbare – Rekombination oder „Umnutzung“ vorgefundener Elemente, die, bislang eher nicht bildtauglich, zu Kunst erklärt werden?

Das, denke ich, sollten Sie selbst ergründen. Vielleicht gibt es auch gar keine eindeutige Lesart, ebensowenig wie in den Zeichnungen Paulsens, und dann hätten die Arbeiten Luzia-Maria Derks' und Christian Paulsens doch immerhin wenigstens das gemeinsam.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Ulrike Lua

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