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Wer kann dazu schon nein sagen?

Galerie SO66, Münster, 2013

Hommage an Klimt

Kompositionen Klimts spielerisch nachgestellt mittels lebensgroßer transparenter Akt-Fotografien

Hintergründe und Bekleidungen aus Einwickelpapieren von Bonbons, Pralinen und Schokoladen sowie Joghurtdeckeln

Kamasutras

Verpackungsschachteln mit Sichtfenstern

Schokoladenpapiere und Abbildungen von Kamasutraszenen

Fotos: Udo Benek, Bernd Corsmeier, David A. Moseley, Gisela Schäper

Verehrte Anwesende,

gehören Sie auch zu denen, die als kleine Kinder noch Bonbonpapierchen oder Pralinenfolien gesammelt, womöglich glattgestrichen und wohlverwahrt haben? Ich kann mich dunkel erinnern, so etwas noch gemacht zu haben. Als ich aufwuchs, waren Pralinen und Bonbons vielleicht noch nicht ganz dieselbe Selbstverständlichkeit wie heute. Und es ist mir unbekannt, ob in der heutigen Wegwerfgesellschaft solche Verpackungen noch den gleichen Stellenwert bei Kindern genießen.

Luzia-Maria Derks scheint sich die kindliche Freude am Sammeln solcher kleinen Preziosen bewahrt zu haben. Und: Sie scheint sogar eine große Leidenschaft für diesen Verpackungsmüll entwickelt zu haben. Denn wenn die Ausstellung, die wir hier heute gemeinsam eröffnen, ein übergreifendes Thema hat, dann ist es zunächst die Auseinandersetzung mit Verpackungen und Wegwerfprodukten – sie betreibt also eine ganz spezifische Form von Recycling.

Ein paar Worte zur Person der Künstlerin: Luzia-Maria Derks stammt aus Goch am Niederrhein, ist aber sehr westfälisch sozialisiert, denn sie studierte Kunst an der Akademie Münster. Ihre Lehrer waren dort Gunter Keusen, Ingrid Roschek, Joachim Bandau und Timm Ulrichs. Nach dem Studium ist sie Münster treu geblieben, sie lebt und arbeitet hier.

Die Ausstellung in der Produzentengalerie SO-66 umfasst mehrere künstlerische Gattungen:

  • Auseinandersetzungen mit klassischen Gemälden, mit Tafelbildern von Gustav Klimt;
  • Verpackungs-Objekte, Schachteln mit neuem Inhalt;
  • eine zweidimensionale Installation zu unseren Füßen, die kleinen Aufkleber auf den Ornamentfliesen des Fußbodens. Heute dürfen Sie mit Recht sagen: „Ich stehe auf Kunst.“
  • im Garten der Galerie sehen Sie eine klassische Skulptur in Gestalt eines Rehs, zusammen mit baumelnden, zweckentfremdeten Fahrradrückstrahlern.

Der Titel der Ausstellung ist ein Zitat aus der Mon Cheri-Werbung – wenn ich richtig recherchiert habe, aus dem Jahre 2004.

Für die heutige Werbewirtschaft ist Verpackung nicht einfach Schutz der Ware, sie übernimmt eine weit wichtigere Funktion: Die Verpackung muss uns durch ihre ästhetische Qualität zum Kauf überreden. Material, Farbe, Form – nichts ist hier dem Zufall überlassen. Jedes Einwickelpapier zugleich ein kleines optisches Abenteuer: So funktioniert heute im Idealfall Verpackung – und das ist unbedingt nötig angesichts überquellender Regale in Geschäften und Supermärkten. Kurz: Wir leben in einer Werbewelt, die mit den Produkten, die sie vermarktet, nicht unbedingt einlöst, was ihre äußere Hülle uns verspricht. Pralinen machen halt nicht glücklich, sondern dick.

In der Preziosität der kleinen Verpackungen liegt der Ausgangspunkt der Werke von Luzia-Maria Derks, die wir hier sehen. Sie setzt sich materiell mit den Überbleibseln zeitgenössischer Werbewirtschaft und Verpackungsindustrie auseinander.

Bei den großformatigen Bildern bietet sich zunächst ein Blick auf den Herstellungsprozess an, der recht differenziert ausfällt. Betrachten wir exemplarisch die Tänzerin: Im Untergrund sehen wir zunächst umgedrehte Joghurtdeckel als eine strukturierte silberne Fläche, darüber hängt eine Fotofolie der nackten Tänzerin etwa in Lebensgröße, diese wiederum mit vorderseitigen Joghurtdeckeln bekleidet. Es sei nicht am Rande erwähnt: Dies ist auch Gemeinschaftsarbeit, denn die Fotografien stammen von David A. Moseley, münsterischer Fotograf, der aus Cardiff stammt, also mit walisischen Wurzeln.

Sogleich fällt noch mehr auf: Jedes Bild geht zurück auf ein Gemälde von Gustav Klimt, die Fotos stellen die Klimtschen Bilder präzise nach. In Format und Größe folgen sie den Vorgaben des großen Österreichers.

Klimt, ein Hauptmeister des europäischen Jugendstils – das ist eine im höchsten Maße ästhetisierte Kunst, die Bilder erstrahlen vor Farben, Gold, Kostbarkeit. 2006 wechselte ein Porträt von Gustav Klimt für 135 Millionen US-Dollar den Besitzer, damals der höchste Preis, der jemals für ein Gemälde bezahlt worden war.

Kann man, was den Klimt-Gemälden an funkelnder Kostbarkeit innewohnt, im Medium des Verpackungsmülls neugestalten? Offensichtlich kann man das. Dass auch Joghurtdeckel wie kleine Kostbarkeiten wirken können, wird hier unmittelbar nachvollziehbar.

Luzia-Maria Derks geht immer von Vorgegebenem und Gefundenem aus, aber dies ist nicht Trash-Art, die Müll zu Kunst erklärt, es geht hier nicht zuletzt um Müllsortierung, um die ästhetische Eigenschaft der Fundstücke, etwa ihre reflektierende Funktion. Luzia Maria Derks scheint es zu mögen, wenn es glitzert: Erinnern Sie sich an die Installation im Fahrradparkhaus Münster mit Rückstrahlern im Jahr 2008? Das Licht, das Leuchten, das Glitzern und Funkeln, die Reflektion – das scheint ein wiederkehrendes Grundthema der Arbeiten von Luzia Maria Derks zu sein.

Kunsthistorisch ist es beileibe nicht neu, vorgefundenes Material zu Kunst umzufunktionieren oder zu einem Kunstwerk zu erklären. Wir wissen, Pablo Picasso brauchte bereits 1942 nur Sattel und Lenkstange eines Fahrrades, um sie zu einem Stierschädel neu zu kombinieren. So entstand eine Ikone der Moderne. Viel radikaler noch verhielt sich seit 1913 Marcel Duchamp, wenn er in seinen Ready-mades Fahrradreifen, Flachentrockner oder Urinoirs als Alltagsgegenstände und Gebrauchsgüter auf den Sockel setzte und zu Kunst erklärte.

Bei Luzia-Maria Derks ist das Vorgefundene, das objet trouvé, aber in etwas anderer Weise Ausgangspunkt der Gestaltung, indem viele kleine Papierchen und Folien nur als Grundstoff, als Material der künstlerischen Tätigkeit dienen – sie sind das, was bei Klimt die Farben und Goldgründe sind.

Vergleichen wir die Kunst von Klimt und Derks etwas näher am Beispiel des Bildes „Der Kuss“. Zunächst finden sich Gemeinsamkeiten in der Gestaltung: Bei Klimt fungiert die Kleidung zumeist als ein Überwurf, ein aufgelegtes Ornament, ein übergeworfenes Muster; nicht aber als organische Fortsetzung der Körperformen. Das lässt sich im Medium der vorgeformten Folien und Papiere dankbar und adäquat umsetzen. Wir sehen: Klimt wäre für Luzia-Maria Derks nicht ohne Weiteres austauschbar gegen einen anderen Künstler.

Aber wir erkennen auch Unterschiede: Bei Klimt ordnet sich die Komposition seinem dekorativen Willen unter, die Anatomie der Figuren ist Nebensache. Klimts Gemälde „Der Kuss“ zeigt uns Unterschenkel und Füße der Frau im Profil, ihr Gesicht hingegen frontal. Wir vermuten: Der Mann musste viel Kraft aufwenden, um die Frau in die für einen Kuss geeignete Position zu bringen. Bei Luzia-Maria Derks erfolgt die Entwicklung der Figuren organischer, nämlich aus dem fotografischen Medium heraus. Und damit kommen wir zu einem viel wichtigeren Aspekt: Die Künstlerin ist in jedem ihrer Bilder anwesend, sozusagen im vollen Körpereinsatz. Es geht somit auch um Selbstbespiegelung im Medium der Fotografie und um Autoporträt, gesehen durch die Kunst Gustav Klimts. So entsteht nicht nur eine optisch und gedanklich reflektierende Auseinandersetzung mit Klimt, sondern auch eine im körperlichen Nachvollzug: Eine sehr persönliche Zwiesprache mit einem Meister des Jugendstils.

Einen anderen Aspekt der Kunst von Luzia-Maria Derks eröffnen ihre „Kamasutras“. Ausgangsmaterial sind hier Schachteln mit Deckelöffnung, Geschenkverpackungen. Darin finden wir neben Folien und Papierchen eingeklebt Illustrationen aus dem Kamasutra, also dem berühmten indischen Leitfaden der Liebeskunst – hier übrigens nicht in der Form originaler, nachgestellter Fotografie, sondern als Farbkopien alter Kamasutra-Illustrationen. Die ehemaligen Pralinenschachteln bekommen die Funktion kleiner Guckkästen. Durch den erotischen Inhalt entsteht für uns Betrachter ein Blick wie durch ein verbotenes, kleines Fenster. Die Bilder sind teilweise recht klein, sodass man näher herantreten muss: Und der unbefangen sich nähernde Besucher ist vielleicht peinlich berührt angesichts seines offenbaren Voyeurismus, den er doch so gar nicht gemeint hatte: Fast fühlt man sich ertappt.

Die Werbeversprechen auf den Kartonagen treten in einen neuen Dialog zum Inhalt, scheinen oft direkt Bezug zu nehmen auf die erotischen Bilder – und wir nehmen einmal mehr wahr, in welchem Maße die heutige Werbewelt auf Sexualität setzt. Wenn wir abschließend die Skulptur des Rehs in die Betrachtung mit einbeziehen, stellen wir fest, dass es kunstvoll aus entsorgten Einwegfeuerzeugen hergestellt ist.

Also ist diese Ausstellung auf den ersten Blick eine Auseinandersetzung mit der heutigen, achtlosen Verschwendung von Wertstoffen – sei es Schokoladen- und Bonbonpapier oder hübsche Kartonagen und leere Feuerzeuge. Jedes einzelne dieser Bilder und Objekte erzählt natürlich auch die Geschichte der modernen, konsumorientierten Wegwerfgesellschaft. Ich hoffe, ich konnte aber deutlich machen, dass hinter der Kunst von Luzia-Maria Derks immer noch etwas mehr steckt.

Jedenfalls bin ich überzeugt, dass Luzia-Maria Derks für jeden von Ihnen etwas mitgebracht hat: Konsumwelt und Kundenfang, Klimt und Kamasutra – wer kann dazu schon nein sagen?

Dr. Alfred Pohlmann

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