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Wabi Sabi

Hafenstraße, Münster, 2000

Gefluteter Bunkerinnenraum (Wasser, 10 cm hoch), Autostableuchten (8 Watt), Minidisc (Amselgesang)

Fotos: Luzia-Maria Derks, Joachim Schulze

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir befinden uns hier mitten in der Stadt. Ich bin nicht weit weg von diesem Ort
1.000 Mal vorbei gefahren. Auch hier auf diesem Gelände habe ich Läden und Geschäfte aufgesucht – aber: ich wusste es nicht – ich wusste nicht, dass es sie gibt, diese kleine Enklave der Stille. Es ist ein Bunker, ein Fundament der Geschichte. Überwuchert mit wildem Gewächs, fast wieder ein Teil der Erde. Ein bißchen bin ich von mir selbst enttäuscht, dass ich diesen Ort nicht selbst entdeckt habe. Zu schnell geht man an allem vorbei; geblendet von einer Zielgerichtetheit der Zweckmäßigkeit.

Vielleicht, ja sicherlich, fing der künstlerische Akt schon bei der Entdeckung dieses Ortes an. Es bedarf einer freien, ungezwungenen Neugier und einer besonderer Wachheit, um solche Orte überhaupt aufzudecken und wahrzunehmen. Ja, Luzia-Maria Derks Arbeit fing schon mit der Entfaltung dieser Neugier an; eine Neugier getrieben von künstlerischen Intentionen und nicht von der Rationalität einer Zweckmäßigkeit.

Vor einiger Zeit hat sie diesen Ort entdeckt und mit dem Gedanken gelebt/gespielt, hier eine Intervention zu realisieren. Nun haben auch wir Dank der Künstlerin die Möglichkeit, diesen verlassenen seltenen Ort ebenfalls zu entdecken. Sie hat einen Weg durch die Gewächse gebahnt – nun können auch wir zu diesem Ort gelangen und in den Innenraum hinein schauen. Hier entlang der Gleise der Bahn befinden wir uns in einem gewissen No-Man's Land – einem Gelände, wo wie das städtische Leben noch freie Natur herrscht. Und gerade hier spürt man, wie unversöhnlich diese zwei Lebensbereiche sind, die Freilegung dieses Ortes macht uns bewusst, wie unterschiedlich die Dynamik des urbanen Lebens und die der Natur sein kann: gegeneinander, in einer Art Überlebenskampf. Es scheint hier draußen, als ob die Natur siegt.

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Gelangt man ins Innere dieses Betonkörpers muss man feststellen, dass es noch sehr lange dauern wird, bis die letzten Spuren von solch einem Bauwahn verschwinden. Man gelangt durch einen schmalen dunklen Gang ins Innere des Bunkers. Fast nur vereinzelt ist es möglich in die Kammern im Inneren zu schauen. Es ist ein gedrungener Raum – aber das eigentlich Erstaunliche daran ist der runde Grundriss, der dieser Kammer eine fast sakrale Ausstrahlung verleiht. Hier hat Luzia-Maria Derks nur minimalistische Eingriffe vorgenommen. Anders zum Beispiel als in der Arbeit von Rebecca Horn im Zwinger auf der Promenade findet man hier keine Konzeption, die den Raum als Bühne für eine sozu-sagen fremde Inszenierung vorführt. In gewisser Weise durch die behutsame Freilegung des Bunkers hat Derks diesen Ort fast im Sinne eines Objekt Trouves in Erscheinung treten lassen – und er wirkt somit als bedeutsames, doch merkwürdiges Moment in diesem gänzlich unidyllischen Teil der Stadt.

Vor allem diese seltsame verlassene Stille, wenn nicht die gewaltige Bahn vorbei rauscht, macht dem Betrachter bewusst, wie ein Stück öffentlichen Raumes doch so fremd sein kann. Hier mitten in der Stadt gibt es doch Bereiche, die man vielleicht doch kaum als öffentlichen Bereich bezeichnen dürfte. Und das gerade hier obwohl, wir nur fünf Minuten vom Ludgerikreis oder dem Hauptbahnhof entfemt sind. Die Frage nach einer Definition von öffentlichem Raum liegt somit auf der Zunge: Sind wir hier mit einem Kunstwerk im öffentlichen Raum konfrontiert? Ist es doch kein öffentlicher Raum? Aber doch ein Teil von der Urbanität? Die Antwort auf solche Fragen, die Kunstwerke wie dieses aufwerfen, können wir immer wieder neu durch das sich wandelnde Verständnis von städtischem Leben beantworten.

Im Inneren des Bunkers findet man einen Raum mit – ja fast intimen – wie erwähnt, unbestimmbaren sakralen Charakter. Derks hat den kreisförmigen Boden mit Wasser gefüllt. Die spiegelnde Oberfläche des Wasser wirkt magisch und in gewisser Weise beruhigend. Die heiteren Stimmen von Amseln durchbrechen die fast penetrante Stille des Ortes. Man schaut über diese Wasserfläche zu einem weiteren Gang; hier scheint Licht durch, man hat das Gefühl, dass eine Öffnung zum freien Himmel die Dunkelheit durchbricht. Neugierde wird geweckt: Was liegt hinter diesem Raum? Wir kommen nicht weiter – der Blick ist versperrt. Man ist gezwungen, entweder den Bunker zu verlassen oder fast aktivlos auf der Stelle zu verweilen; den Ort und die Eindrücke auf sich einwirken zu lassen. Er wird in diesem Augenblick ein Ort der Meditation, dieser ehemalige Schutz gegen menschliche Gewalt bekommt ganz sanfte Konturen.

Derks Kunstwerk heißt „Wabi Sabi" – das klingt für mich wie ein Name aus einem Märchen – vielleicht von einem Zauberer, hier der Ort, den er bewohnt. „Wabi Sabi" ist eigentlich eine Bezeichnung für einen Aspekt der japanischen Ästhetik – die Kunst der Reduktion auch im Zusammenhang mit der Tee- Zeremonie. Diese Tatsache erweckt Assoziationen, der Raum, der Bunker, zum Beispiel wirkt plötzlich wie ein Gefäß – ein Gefäß, in dem unsere Gedanken in aller Ruhe gesammelt werden können, bis das Gefühl der Leere eintritt und Neues begonnen werden kann.

Meditation in der Innenstadt: Es gibt Orte, an denen dies möglich ist – man muss sie nur finden: Luzia-Maria Derks hat uns dabei geholfen.

Dr. G. Kirkpatrick

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