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Kirchenfenster

Atelier Schulstraße, ehemalige von Eichendorffschule, Münster, 2000
Seit November 2011 im Theater Münster

Raumsituation aufgreifendes Objekt aus geklebten Pillenblistern vor Maßwerkfenster Pillenblister, Beleuchtung (25 Watt)

380 x 170 cm

Fotos für Bilder 1 und 2: Ralf Emmerich; Fotos für Bild 3: Dr. Ulrich Bartels; Foto für Bild 4: Dr. Walter Fricke

Einen neogotischen inzwischen zugemauerten Eingangsbereich in einem ehemaligen Schulgebäude nahm ich zum Anlass für meine Arbeit mit den leeren Pillenblistern, die ich mittels Heißkleber aneinanderfügte. Die Transparenz und Farbigkeit des Materials in Verbindung mit dem vorgefundenen Ort brachte mich auf die Idee, die gotische Form eines Kirchenfensters aufzugreifen.

GG

Sehr geehrte Damen und Herren,

wenn Kunstwerke ihre Standorte wechseln, den ursprünglichen Ort, für den sie entstanden sind, zugunsten einer neuen Platzierung eintauschen müssen, wird ihre Aura bisweilen gebrochen, bleibt oftmals ein Ungenügen an dem Verlust der angestammten Stelle, ja das Gefühl einer gewissen Versehrtheit, vielleicht sogar Heimatlosigkeit stellt sich unweigerlich ein. Das gilt um so mehr, wenn Kunstwerke auf die sie umgebende Architektur Bezug genommen haben, ihre formalästhetischen Gegebenheiten interpretierten und umdeuteten, eine Dialogsituation stifteten, gleichsam in situ korrespondierend aber auch konterkarierend auf das Vorgefundene reagierten und eine unverwechselbare, weder austauschbare noch versetzbare Symbiose mit der Umgebung eingegangen sind.

Luzia Maria Derks Installation „Blisterfenster" war im aufgebenen Ateliergebäude an der Schulstraße ein kongenialer Wurf, eine sensible, vieldeutige, spielerisch Moderne und Tradition miteinander verknüpfende Arbeit von einer nachhaltigen Suggestivität und Eindringlichkeit. In den neogotischen Spitzbogen eines Eingangs fügte sie – in kunstvoller, Farben und Formen berücksichtigender Überlappung und Verzahnung – eine Vielzahl über Monate hinaus gesammelter Pillenblister zusammen: Die vorgegebene Architektur aufnehmend und nachzeichnend, den Binnenraum ausfüllend und das spärliche, durch das Maßwerk einfallende Licht ausnutzend formierte Lucia-Maria Derks die Verpackungen von Tabletten zu einem skulpturalen Fenstertransparent, das aus dem nachtenden Dunkel des umgebenden Mauerwerks wie eine mittelalterliche Glasmalerei entgegenleuchtete. Das Wegwerfmaterial medizinischer Versorgung wurde im Hinblick auf seine bisher ungesehene ästhetische Qualität befragt, nach malerischen Gesichtspunkten gesichtet und geordnet, schließlich zu einem Kunstganzen zusammengesetzt, das in Form, kleinteiliger Komposition und transparenter Qualität die Erinnerung an Kathedralfenster der französischen Gotik weckt und wachruft.

Ist dieser sakrale Zauber nun verflogen? Musste die Aufgabe des Ateliergebäudes an der Schulstraße und der damit verbundene Ausbau des Blisterfensters, schließlich die Bestimmung eines neuen Standorts und die Installation hier vor Ort fast notwendigerweise eine Preisgabe seiner auratischen Kraft bedeuten? Man wird das getrost verneinen müssen: Lucia Maria Derks Arbeit hat sich längst bewiesen, sie ist offensichtlich stark genug, sich in dem neuen architektonischen Kontext zu behaupten, indem sie neue, andere Bezugspunkte sucht und ihnen korrespondierend antwortet. Lag der Reiz der Installation am ursprünglichen Ort in ihrer passgerechten Einbindung in das späthistoristische Gemäuer des späten 19. Jahrhunderts, so sucht Derks Blisterfenster im Foyer des Stadttheaters – mehr zufällig als intendiert – nunmehr den Dialog mit der Architektur der 50er Jahre. Die kleinteiligen, mal von runden, mal von ovalen Tablettenkammern durchbrochenen Streifen nehmen die dekorative Auflösung der Decke in ungezählte Stuckringe auf und antworten zugleich auf die bruchstückhafte Zusammenfügung der irregulär geformten Gußsteine des hochpolierten Terrazzobodens. Durchleuchtete Luzia-Maria Derks Blisterfenster im Ateliergebäude das Dunkel des Umraums und fungierte damit als Lichtquelle in der Finsternis, so scheint es hier den ohnehin lichtdurchfluteten Raum zu dominieren, indem es alle Helligkeit bündelt und auf sich zentriert, um damit – sowohl bei Tag wie bei Nacht – zum alles beherrschenden Fokus der natürlichen und künstlichen Beleuchtungsquellen zu werden. Hoheitsvoll, den Blick auf sich ziehend, aber doch zugleich respektvoll Abstand gebietend, wie das Sonnenemblem einer mythischen Macht bestimmt die Installation den Raum, indem es dessen Lichtintensität steigert und der Architektur eine neue, bisher ungesehene Qualität abgewinnt.

Für Sie selbst ungeahnt hat Luzia-Maria Derks mit ihrer Installation an die Hoffnung der vier jungen Architekten erinnert, die in der Theaterarchitektur neue Maßstäbe setzen wollten: ein Haus der Durchlässigkeit, der Transparenz und der Helligkeit, sollte ihnen zugleich ein Ort der Aufklärung sein, die sich traditionell in die Metapher des Lichts kleidet. Diese Botschaft nimmt die Arbeit von Luzia-Maria Derks auf, indem sie die intendierte Lichtfülle des Raums bündelt, akzentuiert und pointiert, schließlich überhöht und damit den zeichenhaften Charakter der Architektur betont. Dafür kann ihr nicht genug gedankt werden.

Wolfgang Türk

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