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Blisterfenster

West- / Ostturm, Uni-Klinik, Münster, 2004

Fenster aus Pillenblistern transparent

280 x 290 cm

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Luzia-Maria

1958 gründeten Heinz Mack und Otto Piene in Düsseldorf die Gruppe ZERO = Null. Sie suchten neue Ausdrucksformen der Kunst, wie sie durch Luft, Licht, Wasser und Feuer geschaffen werden können. Sie wollten mit dem musealen Kunstbegriff brechen – oder wie es Lucio Fontana, ein anderer führender Künstler nach 1945 – der Stunde Null – ausdrückte, der mit seinen „concetto spaziale", aufgeschlitzten, genauer: geöffneten Leinwänden Furore machte: Wir fordern eine neue Kunst, in der bemalte Pappe und ausgestellter Gips keine Daseinsberechtigung mehr haben. Hier wie dort – und manche anderen Hinweise könnten das noch weiter verdeutlichen – spielt LICHT eine entscheidende Rolle.

Was immer aber Künstler(innen) anstellten zur Überwindung der traditionellen Kunst: selbst die Bemühungen der „Klassiker der Moderne", die Klassiker der einstigen Avantgarde blieben doch weitgehend Revolutionen innerhalb der Kunst. Es bedurfte einer großen Anstrengung und eines grundsätzlich anderen Nachdenkens über Aufgabe, Mittel und Material der Kunst, um das angestammte Terrain des Kunstbetriebes selbst zu verlassen. Der Pop-Artist Claes Oldenburg brachte es auf den Punkt: Ich halte nichts von einer Kunst, die sich darin genügt, im Museum auf ihrem A... zu sitzen.

Entscheidende Einschnitte zu einer anderen Ästhetik sind mit den Namen Duchamp und einigen anderen Surrealisten verbunden, und nach 1945 etwa mit Dubuffet, Yves Klein, Christo u.a. Sie formulieren einen Aspekt künstlerischen Tuns, der von anderen Gegebenheiten ausgeht – der nicht auf Äquivalenzen der Illusion von Wirklichkeit fußt, sondern eine Transformation von Wirklichkeit für Kunst – und eine Transformation der Kunst hin zur Wirklichkeit – sucht. Der Schlüssel dafür war so genanntes „wertloses Material". Dubuffet erstellt rohe Skulpturen aus Eisenschlacke, später erwirbt er von einem Grossisten nicht verkäufliche, weil grotesk geformte Schwämme und „macht" daraus seine Figuren und Köpfe. Wichtig hervorzuheben ist, dass es sich dabei nicht um eine dadaistische Geste, eine Ironisierung al la Duchamp handelte, sondern ihm um die Schaffung neuer Wirklichkeit ging, die sich der ästhetischen Vereinnahmung entzieht.

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Warum diese Erinnerung? Weil die Arbeiten von Luzia-Maria Derks nicht der Willkür, der provokativen Geste entstammen, sondern Lichtskulpturen sind, die unser Kunstverständnis und unsere Wirklichkeitserfahrung transformieren – wie es auch Dubuffet gelang. Und wie bei jenem Paten vermitteln auch diese skulpturalen Fenstertransparente, die Blisterfenster, etwas von der Faszination des noch nicht, oder doch noch nie so Gesehenen.

Wie ist es möglich, dass diese Assemblagen aus wertlosem Material, die Luzia-Maria Derks in monatelanger Arbeit für das UKM schuf – Wegwerfmaterial einer gesundheitsbesessenen Gesellschaft, in der die Vorstellung, auch nur wenige Wochen ohne Krankenversicherung leben zu sollen, die Menschen hier an die Grenze ihrer Identität bringt - eine solche Fülle visueller Reize entfalten? Diese monumentalen, erstaunlich transparent wirkenden Skulpturen geben dem Licht wieder das Geheimnis zurück, das es braucht, damit wir es aufnehmen. Es war wohl ein Irrtum der 60er Jahre-Architektur, dass man durch möglichst viel Lux die höchstmögliche Ausleuchtung in Räumen schaffen wollte – und doch nur Sterilität erzeugte. Hugo Kükelhaus, jener Künstler, Architekt, Forscher und Pädagoge, Urheber jener vielerorts hervorsprießenden Sinnesgärten kam zu dem Schluss, dass eben die Gleichförmigkeit der Ausleuchtung uns letztlich unseres Sehsinnes berauben würde – und mit dem Sehen auch der Möglichkeit von Einsicht in einem gar nicht mal so übertragenen Sinn. Sind wir erst um unser Sinnen gebracht, wird es schwieriger, Sinn zu finden – oder gar zu stiften.

Mit den Blisterfenstern und anderen eindrucksvollen Arbeiten, die wir bedauerlicherweise aus Gründen des Brandschutzes hier nur in einer Fotodokumentation zeigen können, erkundet die Künstlerin in einer ganz außerordentlich innovativen und faszinierenden Weise die Möglichkeit, Licht – und darin Kunst – nicht als das Gewöhnliche, Konstante zu zeigen, sondern diesem sein Geheimnis zurück zu geben. Denn nichts anderes, vielleicht Musik und Berührung ausgenommen, wirkt auf unsere Gestimmtheit wie das Licht – gewisses Licht. Physiologisch ist das längst Standardwissen – man blicke auf die Vitamin D-Prophylaxe. Aber was als Alltagserfahrung evident ist, muss nicht schon erkannt sein. Die gotischen Lichtdome sind entstanden aus der Idee, das profane Licht, welches draußen Marktgeschehen und Tagediebe beschien, zu reinigen (zu läutern). Indem es durch die FensterBilder mit Figuren und Geschichten des christlichen Heilsgeschehens geschickt wurde, kam es als etwas anderes im Kirchenraum an – als geheiligtes, transformiertes Licht, das nun in der Lage war, die heiligen ((er-)hellenden, heilenden) Handlungen zu „erleuchten". Auch malerische Konzeptionen der Anfänge unserer neuzeitlichen Kunstgeschichte, Bilder im schimmernden Goldgrund, gehen von einem Sendelicht als Bedeutungslicht aus – im Unterschied zum Zeigelicht, das mit Renaissance und vor allem im Barock nur mehr theaterhaft Effekte (und Affekte) wie auf einer Bühne ausleuchtet.

Verhüllung schafft Reiz, Reduzierung fordert Wahrnehmung heraus, Schimmern ist Glanz. Ich freue mich, dass Luzia-Maria Derks über alle Widrigkeiten ihr Vorhaben realisiert hat und in unsere profanen Hallen etwas von der Erhabenheit, welches Mysterium und Geheimnis hervorruft, eingebracht hat – auch, wenn ein modernes Klinikum in nichts mit einer mittelalterlichen Kirche verglichen werden kann. Diese Arbeiten verdanken ihre Entstehung nicht der (unmittelbaren) Anschauung, sondern eher der Imagination: in ihnen spiegelt sich nicht die Ansicht der Welt, sondern der Versuch der Einsicht. „Kunst gibt nicht die Realität wieder; sie macht sichtbar", formulierte Klee. Dass Frau Derks ihre Kunst aus Materialien realisiert, die wie kaum etwas anderes mit unserer Krankenversorgung – und einem modernen Heilsversprechen – verbunden sind, macht diese Arbeiten zu einem ästhetischen und fast kurativen Glücksfall. Ich danke ihr dafür.

Christian Heeck, Kulturreferent am UKM

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