Stupa

Alte Post, Drebsteinfurt, 2020

Wandschmuck mit Tüten von u.a. Chips, Flips, Erdnüssen; Holzgestelle, darin drehbare Gebetstrommeln aus Holz und Aluminiumplatten, umhüllt mit u.a. Chipstüten, darauf Joghurtbecher; mit Motoren angetriebene, sich drehende Stupas aus verschiedenen Materialien; Altar mit verschiedenen Materialien; an waagerecht gespannten Fäden Gebetsfahnen aus Tüten von u.a. Chips, Flips, Erdnüssen

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Fotos von Georg Hopp, Bernd Corsmeier, Dierk Fechner, Stephan Trescher, Jürgen Lux

Chips Flips Erdnüsse, von Stephan Trescher

Hat Sie das rotgrüngelbweiße Motiv der Einladungskarte an etwas erinnert?

Und sind Sie dahinter gekommen, was es ist?

Gar nicht so einfach, weil es nämlich zwei gegenläufige, höchst widersprüchliche Assoziationen sind, die da angestoßen (oder neudeutsch: getriggert) werden: Die an dreieckige Tortilla-Chips und jene an tibetische Gebetsfähnchen, wiewohl die in der Regel viereckig daherkommen.

Beides zusammenzudenken und zu einer erstaunlichen Synthese von Salzgebäck und Spiritualität, von Tüte und Transzendenz zu bringen, ist die erklärte Absicht von Luzia-Maria Derks in ihrer Ausstellung Stupa.

Chips Flips Erdnüsse

Die deutsche Sprache kennt die Redewendung von der „gebetsmühlenartigen Wiederholung“. Sie meint das unermüdliche oder doch ermüdende, jedenfalls schier unendliche Wiederholen des immer Gleichen.

Während das beständige Repetieren, auch das mechanische, von Gebetsformeln immerhin dazu dient, einen Wunsch oder eine Bitte in Erfüllung gehen zu lassen, der Welt, den Menschen oder auch nur sich selbst zu Gutem zu verhelfen, ist das mechanische In-Sich-Hineinstopfen von Salzgebäck jedweder Art irgendwann nur noch ein Selbstläufer, der dazu dient, das Leeregefühl, nicht so sehr im Magen als vielmehr auf den Geschmacksrezeptoren (oder eigentlich wohl eher: einer tiefer sitzenden Leere) zu füllen.

Das funktioniert so hervorragend, weil sich jemand die optimale Austarierung von Fett, Salz und Zucker hat einfallen lassen, um uns wie die Pawlow’schen Hunde speicheltropfend nach immer mehr gieren zu lassen, automatisch und reflexhaft, vollkommen ohne Sinn und Verstand nutzen zu können – es sei denn: Zum Aufhören. Da sind jene Leute, wie z.B. die Künstlerin selbst, besser dran, die gar nicht erst damit anfangen.

Das mechanisch Repetitive der Zufuhr von vollkommen überwürzten, fettig-salzig-zuckrigen Nahrungsersatzmitteln (von Peter Handke so treffend „Fesazus“ genannt [oder war es doch Marc Uwe Kling?]) greift Luzia-Maria Derks in der Videoarbeit auf, die hier zu sehen ist: Reduziert bis zum Äußersten, sieht man weder den Menschen noch die Chips, man sieht noch nicht einmal die eigentliche Nahrungsaufnahme, die allein über die typisch knusprig-knirschend-krachende Geräuschkulisse vermittelt wird, sondern nur den Prozeß des Herunterschluckens, des ständigen Aufs und Abs eines Adamsapfels vor neutral bildschirmblauem Grund. Das wirkt grotesk bis befremdlich und vielleicht auch abstoßend, da alles Appetitanregende an Optik und Geschmacksverstärkung im Verborgenen bleibt und nur das geradezu zwanghafte Immer-Weiter-Machen verbildlicht wird.

Chips Flips Erdnüsse

Luzia-Maria Derks wäre aber nicht sie selbst, wenn sie nicht ihr Hauptaugenmerk auf die Verpackungen richten würde. Denn damit hat sie weitreichende Erfahrungen gesammelt, wie Kenner ihres Werkes sehr wohl wissen. Besonders Bonbonpapiere und Schokoladenverpackungen haben es zu bis dato ungeahnter künstlerischer Präsenz gebracht in ihrem Oeuvre, wurden zu wandfüllenden Projektionsflächen oder mosaiksteinähnlichen Bildbestandteilen, oder sogar, im wohl berühmtesten Fall, zur Komplettverkleidung einer Autokarosserie.

Nun also hat sie, angeregt durch einen ebenso fleißig sammelnden wie ungesund sich ernährenden, großzügigen Spender (und durch die Restbestände eines aufgelassenen Kinos aus dem verwunschenen Castrop-Rauxel) einen enormen Vorrat an Salzgebäckverpackungstüten verwendet, um hier den Raum der Drensteinfurter Alten Post umzugestalten.

Und zwar von Grund auf. Denn sich Räume anzueignen und umzuwerten, ist eine ihrer grundlegendsten künstlerischen Befähigungen; und so hat Luzia-Maria Derks nicht nur ein direkt aus dem Design der Tüten abgeleitetes Ornament genutzt, um in endlosem Rapport eine Art von glitzernd glänzender Tapete an Pfeiler und Wänden des Raumes zu applizieren, sie hat auch dezidiert nach Anklängen an buddhistische Tempelanlagen gesucht.

Daher der Titel Stupa. Ein Stupa meinte ursprünglich einen Grabhügel im alten Indien; die Form ähnelte ungefähr einer Halbkugel, an deren Spitze ein Stab oder Schirm aufgepflanzt wurde. Beide Bestandteile sind dabei höchst symbolisch aufgeladen: der Stab als Verbindung zum Mittelpunkt des Universums, die Halbkugel als Zeichen der gedachten Vollständigkeit (in Form der Kugel). Die Bauform wurde weiterentwickelt und in zum Teil monumentale Architekturen umgesetzt im gesamten Verbreitungsgebiet des Buddhismus in Asien, von Indien bis Malaysia, Thailand, Nepal oder Tibet. Die baulichen Details besitzen alle ihren jeweils eigenen symbolischen Gehalt; immer sind diese Heiligtümer aber Zentralbauten auf quadratischem oder kreisförmigem Grundriss, die man rituell umschreiten kann und soll.

Chips Flips Erdnüsse

Dem tibetischen Buddhismus entlehnt sind die tonnenförmigen Gebetsmühlen.

Ursprünglich sind sie ein Rad oder eine Walze, die auf einer Papierrolle aufgedruckte Gebete oder Mantras enthalten oder außen mit solchen verziert sind. Das Drehen der Gebetsmühlen erinnert an das In-Gang-Setzen des Rades der Lehre (dharmachakra) durch Buddha selbst und dient nach buddhistischer Überzeugung dazu, gutes Karma anzuhäufen. Insbesondere für die weniger Gebildeten, des Lesens Unkundigen, reicht die Idee, bei der Drehung der Gebetsmühle den Wunsch zu hegen, dass die in der Walze befindlichen Mantras zum Wohle aller fühlenden Wesen wirken, deren Leid beseitigen und ihnen Glück bringen.

Auch in Luzia-Maria Derks‘ Ausstellung können die Gebetsmühlen im Vorbeigehen mit der Hand bewegt werden, sofern sie sich nicht, elektrisch betrieben, ganz langsam von selber drehen.

Es mag uns westlichen Menschen seltsam vorkommen, aber das ist keineswegs eine Verunglimpfung oder gar Verhohnepipelung des „Prinzips Gebetsmühle“. Ich selbst besitze sogar eine CD (Yungchen Lhamo, Coming Home, Realworld, 1998), auf der das Om mani padme hum, das älteste und bis heute populärste Mantra des tibetischen Buddhismus, aufgedruckt ist, damit beim Abspielen des Tonträgers sich sozusagen der CD-Spieler in eine Gebetsmühle verwandelt, der unablässig dieses Mantra im Kreis dreht. Wenn auch gänzlich im Verborgenen im Innern der Maschine.

Auch wenn Luzia-Maria Derks hier nicht wirklich ein sakrales Gebäude auf Zeit errichten möchte, so geht es ihr doch erst recht nicht um ein Ins-Lächerliche- Ziehen von Religion im Allgemeinen oder des Buddhismus im Besonderen. Wenn überhaupt, dann gibt sie unsere konsumistischen Gewohnheiten der Lächerlichkeit preis, die bei uns so oft an die Stelle der Religionsausübung getreten sind.

Sie nimmt nun diese leeren Hüllen der Wegwerfgesellschaft und wertet sie in einem Akt künstlerischen Direktrecyclings um ins Positive. Bei den Gebetsmühlen sind das z.B. Chips Flips Erdnüsse und außerdem auch noch Fruchtzwergbecher, Überraschungseier, abgebrannte Wunderkerzen und Sektkorken. (Eimer, Joghurtbecher und Trichter kommen neben Taco-Chips- und Zwiebelring-Tüten ebenfalls zum Einsatz.)

Die Künstlerin entdeckt darin nicht nur ihre jeweilige formale oder farbliche Schönheit und bei den Chipstüten noch den glänzend spiegelnden Oberflächenreiz, sondern es gelingt ihr, mit diesen Rest- und Müllmaterialien tatsächlich ein farbenfrohes, positives Raumgefühl zu erzeugen, den an sich düsteren Raum mit seinem lastend dunklen Gebälk zu ihrem eigenen zu machen, ihn mit neuem Licht, mit Silberglanz, mit Leichtigkeit und – warum nicht? – spiritueller Energie zu füllen, ihn solcherart zu transformieren, daß möglichst auch wir Besucher und Betrachter verwandelt daraus hervorgehen.

Chips Flips Erdnüsse!

Ommmm.

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GGEin Schrein aus Chipstüten, Westfälische Nachrichten, Mo., 12.10.2020

GGKunst - und Kulturverein Drensteinfurt

GGStupa in Drensteinfurt oder aber westfälischer Buddhismus im Kunstverein. Ruppe Koselleck

GGStephan Trescher, Kunstschreiber

GGGregor Bohnensack-Schlößer, Performer und Coach